Du hast die ersten Namen deiner Vorfahren gefunden, wahrscheinlich auch ihre Geburts- und Sterbedaten recherchiert und herausgefunden an welchen Orten sie gelebt haben. Doch je weiter du zurück in der Zeit gehst, stößt du schnell auf ein Hindernis: die alten deutschen Handschriften.
Die Dokumente, die du in den Händen hältst, egal ob Original oder Scan, wirken als wären sie in einer Geheimsprache geschrieben. Manche Buchstaben sehen ungewöhnlich aus, es scheint als würden manche Wörter direkt ineinander übergehen. Und dann gibt es noch die Herausforderung, dass die Kirchenbucheinträge meistens in Latein geschrieben wurden.
Dieses Gefühl der Frustration kennen viele Familienforscher. Viele Familiengeschichten bleiben unerforscht, weil die alte Handschrift wie eine unüberwindbare Mauer scheint. Doch genau in diesen Dokumenten liegen oft die wertvollsten Informationen verborgen: Details über Wohnorte, Berufe, Paten, Vaterschaften, Todesursachen oder frühere Heiratsverbindungen.
Die gute Nachricht: Mit etwas Übung kannst du lernen, Kurrent und Sütterlin zu lesen. Am Anfang ist es ziemlich mühsam, aber mit jedem Wort dass du entzifferst, fällt es dir leichter diese Dokumente zu lesen.
Schritt 1: Finde das richtige Werkzeug
Bevor du versuchst, ein altes Dokument zu entziffern, solltest du dir eine Schrifttabelle bereitlegen. Sie wird sozusagen dein persönlicher „Rosetta-Stein“ für alte deutsche Schreibschriften. Denn hinter dem was wir heute als alte deutsche Handschrift kennen, verbirgt sich meist die Kurrentschrift. Es ist die gebräuchlichste Form, die du in Kirchenbücher, Standesämtern und Archiven finden wirst. Ab 1915 wurde dann die vereinfachte Form, die Sütterlinschrift, eingeführt.
Ohne Tabelle ist es am Anfang fast nicht möglich, die fremd wirkenden Buchstaben zu lesen. Mit einer Tabelle kannst du systematisch nachschlagen und vergleichen. Besonders am Anfang wirst du sie ständig brauchen. Später mit etwas Übung reicht dann oft nur ein kurzer Blick.
Wo findest du solche Tabellen?
- Online gibt es zahlreiche kostenlos bereitgestellte Tabellen. Suche unter anderem nach „Kurrent Alphabet“ oder „Sütterlin Tabelle“
- In genealogischen Vereinen, Archiven oder Foren werden oft Übersichtstabellen bereit gestellt.
- Es gibt auch Bücher mit Übungsseiten, die sich hervorragend zum Lernen eignen.
Neben den klassischen Tabellen gibt es auch digitale Helfer. Die bekannteste ist wohl Transkribus. Ein Programm, dass die Schrift automatisch erkennt und das Dokument dann „übersetzt“. Es ist nicht perfekt, bietet aber eine gute Grundlage, die man einfach nachkorrigieren kann. Wichtig dabei: Verlasse dich hier nicht auf die Technik, dein Auge wird mit der Zeit immer besser und erkennt die Fehler sofort.
Wenn du weißt, welche Schrift ungefähr in deinem Dokument vorkommt (z. B. Kurrent im 18. Jahrhundert oder Sütterlin im frühen 20. Jahrhundert), erleichtert dir das den Einstieg enorm. Manche Regionen hatten zudem leichte Abwandlungen, die du ebenfalls im Hinterkopf behalten solltest. Dazu kommt noch, dass jeder seine eigene Handschrift hatte.
Fazit: Ohne Tabelle geht nichts. Mach sie zu deinem treuen Begleiter, und du wirst merken, wie du alte Dokumente immer schneller lesen kannst.
Schritt 2: Lerne die Muster – Fange an, ganze Wörter zu erkennen
Am Anfang habe ich den Fehler gemacht und versucht jeden Buchstaben einzeln zu entziffern. Das ist in etwa so, als würde man sich beim Lernen einer neuen Sprache nur auf das Alphabet konzentrieren und nicht auf Wörter und Sätze.
Stattdessen solltest du dich darauf konzentrieren, bestimmte Muster zu erkennen. Sieh dir das Gesamterscheinungsbild eines Wortes an. Viele Wörter haben eine ganz charakteristische Form, die sich wiederholt. Das Wort „geboren“ oder „getauft“ zum Beispiel (meist auch auf latein), das in Kirchenbüchern sehr häufig vorkommt, hat eine ganz bestimmte Silhouette, die du nach ein paar Wiederholungen sofort erkennen wirst. Achte auf die Auf- und Abstriche, die Schleifen und die Verbindungen zwischen den Buchstaben.
Abkürzungen sind eine zusätzliche Herausforderung. Früher sparte man Tinte und Papier, daher wurde viel gekürzt. Typisch sind Kürzel wie „u.“ für „und“, „geb.“ für „geboren“ oder „copul.“ für „copuliert“ (heiratete). Mit etwas Übung erkennst du diese Kürzel im Textfluss. Wenn du ein unbekanntes Zeichen siehst, schau in deine Transkriptionstabelle nach.
Mit der Zeit und etwas Übung wirst du dabei immer sicherer. Am Anfang kannst du bewusst Listen mit häufigen Wörtern erstellen und dir die Form einprägen. Auch beim wiederholten Lesen desselben Kirchenbuchs merkst du schnell: Die Einträge folgen einem ähnlichen Aufbau, bestimmte Worte tauchen immer wieder auf.
Die Kunst beim Lesen alter Handschriften ist also nicht, jeden Buchstaben perfekt zu erkennen, sondern im Gesamtbild den Sinn zu erfassen. Mit Mustererkennung öffnet sich dir der Zugang zu vielen Dokumenten.
Schritt 3: Nutze den Kontext
Stell dir vor, du versuchst ein Kreuzworträtsel zu lösen. Wenn du ein Wort nicht kennst, schaust du wahrscheinlich auf die umliegenden Wörter und kannst es so trotzdem erraten. Genauso ist es oft mit dem Lesen alter Schriften. Der Kontext drumherum ist dein bester Helfer.
Auch die Struktur ist wichtig. Kirchenbucheinträge sind oft nach festen Mustern aufgebaut. Bei Heiratseinträgen findest du meist: Name des Bräutigams, Beruf, Herkunftsort, Name der Braut, ihre Eltern. Mit diesem Wissen kannst du Lücken schließen, auch wenn die Schrift undeutlich ist.
Es ist am Anfang nicht notwendig, jedes einzelne Wort perfekt zu entziffern, um den Sinn des Dokuments zu verstehen. Manchmal reicht es erstmal aus, die wichtigsten Informationen wie Namen, Daten und Orte zu finden. Überlege, welche Informationen für das jeweilige Dokument relevant sind. Ist es ein Sterbeeintrag? Dann wirst du nach dem Namen, dem Sterbedatum und vielleicht der Todesursache suchen. Oft sind diese Wörter in der gleichen Reihenfolge aufgeführt. Dieses Verständnis des Kontextes wird deinen Entzifferungsprozess ungemein beschleunigen.
Schritt 4: Übe die Handschrift
Wenn du die Kurrentschrift lernen willst, ist Übung das A und O. Am besten fängst du mit Texten an, die du schon kennst. Dazu eignen sich persönliche Dokumente perfekt. Vielleicht hast du alte Briefe, Tagebücher oder Rezepte deiner Großeltern oder Urgroßeltern. Diese Texte sind ein idealer Einstieg, weil du viele Wörter und Namen schon kennst.
Ein weiterer Tipp ist, mit Unterschriften zu arbeiten. Sie sind zwar oft verschnörkelt, dienen dir aber als Fixpunkt. Wenn du die Unterschrift eines Vorfahren erkennst, kannst du vergleichen, wie er die gleichen Buchstaben im Fließtext geschrieben hat.
Du kannst aber auch selbst aktiv werden: Schreibe einmal ein paar Zeilen in Kurrentschrift ab. Am Anfang ist das ziemlich ungewohnt, aber es schärft dein Auge ungemein. Wenn du die Buchstaben selbst schreibst, lernst du die Schrift schneller.
Für gezieltes Training gibt es auch Online-Kurse, Übungshefte oder Bücher. Einige genealogische Vereine bieten sogar Schreib-Workshops an, bei denen du die Schrift Schritt für Schritt erlernen kannst.

Schritt 5: Geduld – Dein größter Verbündeter
Handschriften lesen lernst du nicht an einem Nachmittag. Es ist ein Prozess, der Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Manche Dokumente wirst du schnell verstehen, bei anderen sitzt du stundenlang über einem einzigen Wort. Das ist normal und gehört zum Forscheralltag dazu.
Wichtig ist, nicht sofort aufzugeben. Wenn du an einer Stelle nicht weiterkommst, lege das Dokument weg und schaue später noch einmal darauf. Oft erkennt man mit nach einer Pause, was man vorher übersehen hat.
Auch Austausch kann helfen. Es gibt viele genealogische Foren und Facebook-Gruppen, in denen du Bilder hochladen und andere um Rat fragen kannst. Oft reicht ein Hinweis, um den Knoten zu lösen.
Lass dich nicht entmutigen, wenn du nicht jedes Wort entziffern kannst. Auch Profis stolpern über schwierige Stellen. Dein Ziel sollte nicht die perfekte Transkription sein, sondern das Herausziehen der relevanten Informationen. Jeder Name, jedes Datum, das du erkennst, ist ein Erfolg.
Fazit
Alte Handschriften wirken am Anfang wie ein unlösbares Rätsel. Doch mit den richtigen Strategien wird das Lesen möglich – und sogar spannend.
Mit Transkriptionstabellen hast du ein verlässliches Werkzeug. Mit Übung und Geduld wirst du sicherer, und jeder kleine Fortschritt öffnet dir eine neue Tür in die Vergangenheit.